Deutschlands Wirtschaft schrumpft, Italien rutscht in die Rezession, die Eurozone stagniert: Europas Konjunktur schwächelt bedenklich. Droht eine neue Krise?
Hamburg - Es ist kein guter Tag für Europas Wirtschaft. Die neuesten Zahlen des Europäischen Statistikamts zeigen: Der größte Wirtschaftsraum der Welt wächst nicht mehr. 0,0 Prozent Wachstum zwischen April und Juni im Vergleich zum Vorquartal.
Die deutsche Wirtschaft ist im zweiten Quartal im Vergleich zum Vorquartal gar um 0,2 Prozent geschrumpft. Erstmals seit 2009 hat sie sich schlechter entwickelt als die Eurozone im Durchschnitt. Die Bundesrepublik, so scheint es, droht ihre Rolle als Wachstumstreiber Europas zu verlieren.
Die konjunkturelle Entwicklung Europas stimmt bedenklich. Vor einigen Monaten erst war vom baldigen Ende der Eurokrise die Rede. Spanien und Portugal konnten den Euro-Rettungsschirm verlassen. Irland versprach, seine Schulden schneller als geplant abzutragen. Und nun das: 0,0 Prozent Wachstum. Dazu die hohe Arbeitslosigkeit in vielen EU-Staaten.
Was ist passiert in Europa?
In Deutschland liegt das leichte Minus unter anderem am milden Winter. Dieser hat im ersten Quartal einen Boom erzeugt, viele Unternehmer haben Geschäfte vorgezogen. Das drückt nun das Wachstum im zweiten Quartal. Strukturell aber steht Deutschland mit seiner niedrigen Arbeitslosigkeit, der sinkenden Staatsschuldenquote und dem lebhaften Konsum nach wie vor gut da. Für das dritte Quartal ist wieder mit Wachstum zu rechnen.
In anderen Euroländern dagegen ist die Lage bedenklich. Vor allem Frankreich und Italien, die nach Deutschland größten Volkswirtschaften des Währungsraums, haben große strukturelle Probleme. Und in Krisenstaaten wie Griechenland, Spanien und Portugal geht es dank schmerzhafter Spar- und Reformprogramme zwar inzwischen wieder leicht bergauf mit der Wirtschaft. Doch die Gefahr eines Rückfalls in die Krise ist noch immer groß.
Ein weiterer Gefahrenherd für alle EU-Länder sind die aktuellen Großkonflikte. Die Spannungen zwischen der EU und Russland, die Kriege im Nahen Osten, der politische Umbau der Türkei: All das hat ein Klima der Unsicherheit geschaffen. "Geopolitische Risiken könnten die Konjunkturlage negativ beeinflussen", schreiben die Währungshüter der Europäischen Zentralbank in ihrem am Donnerstag veröffentlichten Monatsbericht. Ebenfalls belastend sei die sinkende Nachfrage aus Schwellenländern wie China und Brasilien.
In den Chefetagen der Banken und Unternehmen macht sich deshalb Unsicherheit breit. Es kann jederzeit etwas passieren, das die Geschäfte gefährdet. Entsprechend halten sie sich die Firmen mit Investitionen zurück und die Banken mit der Vergabe von Krediten. Ein Index des Ifo-Instituts, der das Geschäftsklima in Europa misst, sank Ende Juli auf den tiefsten Stand seit fast einem Jahr. In vielen osteuropäischen Staaten ist das Geschäftsklima inzwischen sogar schlechter als vor zehn Jahren.
Auch die hohe Staatsverschuldung belastet die Wirtschaft in der EU. Laut Eurostat lag der Schuldenstand der 18 Eurostaaten gemessen am Bruttoinlandsprodukt im ersten Quartal 2014 bei fast 94 Prozent. Viele Staaten sind damit weit jenseits der als gesund erachteten Schuldenobergrenze von 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP).
Für das zweite Halbjahr 2014 sind die Aussichten durchwachsen. Nach den überwiegend schwachen Daten dürfte die Konjunktur 2014 weniger stark anziehen als erhofft. Die EU-Kommission hatte im Mai noch plus 1,2 Prozent veranschlagt. Die NordLB rechnet nun nur noch mit 0,7 Prozent Wachstum. Die Europäische Zentralbank geht davon aus, dass "die Erholung der Wirtschaft des Euro-Währungsgebiets weiter moderat und uneinheitlich verlaufen wird". Und die Volkswirte der Commerzbank sagen: "Von einem Aufschwung im Euroraum kann weiterhin keine Rede sein."